Souveränität und Demokratie – bewahren durch verändern
Nationaler Geburtstag - früh morgens um 7 Uhr die ersten Böllerschüsse, zwischendurch reichlich Cervelats, Festreden der gesellschaftlichen Eliten, und kurz vor Mitternacht verstummen die letzten Feuerwerke. So feiert die Schweiz ihren Geburtstag.
Seit Gründung unseres Bundesstaates im Jahr 1848 ist unser Souveränitätsverständnis stark von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung geprägt. Die westlichen Demokratien beruhen zudem auf zwei zentralen Vorstellungen:
Realismus und Deliberation.
Die realistische Vorstellung beinhaltet, dass jeder einzelne Bürger seine politischen Präferenzen äussern kann - mit den bekannten Abstimmungsresultaten: Nein zu CO2-Gesetz; Nein zu elektronischer Identität; Nein zu Landwirtschaftsreformen. Wie der Bürger zu diesen Präferenzen kommt, ob in Filterblasen gefangen, durch Algorithmen ferngesteuert, oder beeinflusst durch Fake News, bleibt ihm selbst überlassen. In Wahlen werden diese Präferenzen zudem aggregiert und führen letztlich zur Bestimmung von Parlament und Regierung. Im Rahmen einer Ortsplanungsrevision wird der Bürger neuerdings noch in einer Umfrage konsultiert. Dann ist aber definitiv Schluss mit der Selbstbestimmung in unserem Land.
So zeigen bspw. die Ergebnisse der Online-Befragung zur Revision der Zuger Ortsplanung, dass sich die Stadtzuger Bevölkerung mit 64 Prozent klar für einen einfachen Zentrumstunnel ausspricht (Seite 41). Auf der Folgeseite werden dann noch die Gründe für die Ablehnung eines Tunnels aufgeführt. Was soll jetzt die Stadtzuger Bevölkerung und der Stadtrat resp. der ganze Kanton mit diesem Befragungsresultat anfangen?
Verständlicherweise wird die Bevölkerung zunehmend unzufriedener mit solchen Befragungen und diesem Demokratieverständnis. Das Vertrauen in die politische Klasse schwindet, und es wächst der Wunsch nach mehr Bürgereinfluss auf politische Entscheide.
Deliberation kommt diesem Wunsch entgegen.
Zugerinnen und Zuger per Los auswählen, in repräsentativen Gruppen zusammenkommen und besprechen, wie die anstehenden Herausforderungen wie bspw. Zentrumstunnel, attraktives Wohnen und Arbeiten sowie nachhaltige Energieerzeugung im Kanton Zug zu lösen sind. Dank der Kraft der besseren Argumente ändern manche Teilnehmer ihre Positionen - Konsens ist jedoch nicht erforderlich. Am Schluss stehen reflektierte politische Positionen, die weit über die üblichen Umfragen hinausgehen.
Deliberation kultiviert nicht Gräben und Spaltungen, sondern überwindet diese und geht auf die andere Seite zu.
Gerade wir im kleinräumigen Kanton Zug verfügen mit kurzen Entscheidungswegen über ideale Voraussetzungen, einen gemeinsamen und nachhaltigen Dialog mit der Bevölkerung zu führen. Wir sollten nun klare Vorstellungen über Zukunftsgestaltung entwickeln und nicht nur an Festansprachen die Wichtigkeit der Meinung der Bürger ausrufen, sondern diese aktiv in den politischen Gestaltungsprozess einbeziehen.
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